Viele Pilger suchen, oft nachdem dem sie zwei der bekannteren Pilgerwege in Spanien gegangen sind, nach einer Herausforderung, nach einem Weg, der „ursprünglicher“ ist und noch nicht so „überlaufen“.
Der Camino Mozarabe auf dem Abschnitt von Alméria nach Granada, in Andalusien durch die Sierra Nevada ist so ein „ursprünglicher“ Weg. Und er ist ganz und gar nicht „überlaufen“.
Der Weg:
Der Weg von Alméria nach Granada wird von der Asociacón Jacobea Alméria Granada Camino Mozarabe betreut.
Laut Komoot bin ich 206 Kilometer aus der Stadt Alméria bis zur ersten Bar, in die wir eingekehrt sind, in Granada, gegangen.
Da ich den gesamten Weg mit Komoot aufgezeichnet habe, kannst Du Dir den ganzen Weg auch auf der Karte in meinem Account dort ansehen.
Reine Gehzeit war 43 Stunden und 39 Minuten, ich bin 3950 Höhenmeter hinauf und 3250 Höhenmeter hinab gegangen.
1te Etappe: Gemeinsam mit meinem Pilgerfreund Brian Perry bin ich von Alméria aus der Stadt hinaus nach Santa Fe de Monduchar gegangen.
Die erste Etappe führt Im Grunde am Rio Andarax entlang, der kein Wasser führte und dessen Flussbett auch mal Teil des Weges ist.
Die erste Etappe ist landschaftlich keine Offenbarung, aber stimmt einen auf die etwas spröde Landschaft, die man die nächsten Tage erleben kann ein.
Laut der Pilgerfiebel, die uns zur Verfügung stand, hatte unsere erste Etappe 25 Kilometer.
Man hätte aber auch nach etwa 15 Kilometern in Rioja eine Pilgerherberge vorgefunden.
Die Pilgerherberge in Santa Fe de Mondujar in der Calle Real, einem Landarbeiter Dörfchen, wartete mit einem Doppelbett, zwei Einzelbetten und einer Schlafcouch für zwei, frischem Bettzeug und Bettbezug auf.
Frischen Handtücher sind ebenso vorhanden.
Eine vollausgestatte Küche und eine Waschmaschine, ein kleines, aber schönes Badezimmer mit einer wirklich heißen Dusche gehörte auch zu dem Angebot dieser kommunalen Herberge.
Die Herberge kostet 15,00 €.
Wenn man selbst kochen will, sollte man sich seine Verpflegung mitbringen, aber dazu besteht in Wirklichkeit keine Veranlassung, weil vor Ort die La Plaza Bar in der Calle la Fuente ist, in der man sehr freundlich aufgenommen wird und man mit Glück noch ein Ständchen des örtlichen Gitarreros bekommt, wenn dafür ein Bierchen oder zwei abfallen.
Wir haben gut gegessen, gut getrunken und uns sehr ausgiebig und nett, oft unter Zuhilfenahme von Händen und Füßen und den paar Brocken spanisch von Brian und mir, mit den Leuten unterhalten.
Pilger*Innen, so hatten wir den Eindruck, sind keine echte Sensation mehr, aber auch noch keine Landplage. Die Freude darüber mit den Wanderern zu reden war echt. Und nicht nur wir hatten es am nächsten Morgen etwas schwerer in die Gänge zu kommen.
2te Etappe: Trotz der etwas ausgiebigeren Wein und Schnapsprobe in der LA PLAZA BAR am Vorabend, gemeinsam mit den Bewohnern des Weilers haben Brian und ich uns recht zeitig, ohne Frühstück, auf die zweite Etappe von Santa Fé de Mondujar nach Alboloduy gemacht. Diese Etappe hat nach der Pilgerfiebel nur 15 Kilometer, diese hatten es aber nach meinem Empfinden ziemlich in sich.
Es bestünde auch die Möglichkeit in Alhbia eine Herberge aufzusuchen, diese Option haben wir allerdings, trotz allem, nicht genutzt.
Die Landschaft war ziemlich spröde und erinnerte zusehends an alte Spagettiwestern. Brian hatte die Weinprobe etwas besser verkraftet als ich, und so ging er schon voraus, während ich wie eine Schnecke, schweißüberströmt, die Sand- und Schotterpisten hinan und hinab kroch. Schon bevor ich den ersten Weiler mit Wasserhahn erreichte war mein Wasservorrat fast verbraucht, so dass ich immer häufiger kleine Pausen einlegte, um den Schweißfluss nicht allzu sehr anzuregen.
Als ich dann da so auf einem Gipfelchen ziemlich in der Mitte zwischen Santa Fé de Mondujar und Alhabia, ungefähr nach 5 Kilometern, saß und mein letztes Wasser in kleinen Schlückchen trank und versuchte nicht dem Drang nachzugeben einfach große Schlucke in mich reinlaufen zu lassen, krakselten zwei Geländewagen die Anhöhe hinauf. Einer war von der Guardia Civil und einer in zivil. Diese Geländewagen hielten neben mir und als einer der Polizisten ausstieg und geradewegs auf mich zukam, dachte ich mir: „Jetzt kriegen sie Dich wegen Alkohol im Pilgerverkehr dran.“ Denn Autofahren hätte ich noch nicht dürfen.
Der Polizist sprach mich auf spanisch an, und ich versuchte ihm zu erklären, dass ich kaum spanisch, aber dafür deutsch, englisch und ein büschen französisch spräche. Da kommt dann einer der Zivilisten dazu, der mir auf deutsch erklärt, sie seien von der örtlichen Zeitung und begleiteten einen Tag die Polizei und würden daraus einen Artikel machen. Und das sei doch jetzt eine wunderbare Gelegenheit ein Foto mit einem Pilger zu machen, welches dann mit dem Bericht veröffentlicht würde. Ob ich einverstanden sei fragte er nur beiläufig, die Polizisten halfen mir in meinen Rucksack und so posierten wir vor dem Polizei-Geländewagen gemeinsam und unterhielten uns noch lachend babylonisch in allen Sprachen die uns zur Verfügung standen.
Eine Polizistin hatte gesehen, dass mein Wasser quasi zu Ende war und gab mir unter mütterlichen Vorhaltungen, soweit ich das was sie sagte verstehen konnte, eine eiskalte 1,5 Liter PET-Flasche Wasser aus der Polizei-Kühlbox. Dein Freund und Helfer.
Während dessen spukten in meinem Hinterkopf immer die Horrorstories meiner Eltern über die Guiaria Civil aus der Franko-Ära im Kopf herum, was die ganze Situation für mich ein wenig skurril machte.
Ich schrieb dem Journalisten meine Mailadresse für das Foto auf, die muntere Truppe wünschte mir „Buen Camino“ und verschwand in einer Staubwolke das Berglein hinunter.
Ich zündete mir eine Zigarette an, nahm einen kräftigen Schluck Wasser, oder zwei, und machte mich daran, diese für mich harte Etappe weiter zu gehen.
Leider habe ich das Foto nie bekommen.
In Alhabia hatte Brian, der sich wohl sorgte, dass ich unterwegs an einem postalkoholischen Erschöpfungszustand verstürbe, eine längere Pause gemacht, so dass wir von dort bis Alboloduy wieder gemeinsam marschierten.
Als ich ihm die Geschichte erzählte und ich jetzt mit Namen und allem PiPaPo in die hiesige Zeitung käme, lachte er nur und sagte: „Mister Camino“ brachte bloß einen Grund um Dir Wasser vorbei zu bringen.
Von Alhabia bis nach Alboloduy geht es dann recht entspannt durch und an dem ausgetrockneten Rio Nacimiento entlang.
In der Herberge angekommen: Brian macht das, was alle Engländer tun, wenn sie sich um das Wohlbefinden eines anderen Sorgen, kaum angekommen macht er einen heißen schwarzen Tee, damit ich wieder auf die Beine komme.
Die Herberge ist eine Donativo-Albuerge mit zwölf Doppelstockbetten in zwei Räumen, die Küche ist voll ausgestatten, im Ort gibt es mehrere Möglichkeiten einzukaufen, so dass man seine Verpflegung vor Ort spontan entscheiden kann. Die Herberge ist gleich am Ortseingang, wenn man vor der Kirche steht links Carrer Alhabia Ecke Calle Iglesia.
Bettzeug und Handtücher gibt es nicht, also kommt der Schlafsack und das mitgeschleppte Handtuch zum Einsatz.
Die Dusche ist wirklich heiß und bekanntlich macht ja eine gute Dusche mit ausreichend Wasserdruck jeden müden Pilger wieder munter.
Brian und ich entscheiden uns selbst zu kochen, ich verzichte diesen Abend auf Wein.
Auf der großen Terrasse mit Trockenspinne treffen wir auf die ersten Mitpilger: Sally und David aus dem Nordwesten der USA.
Am Ende machen wir noch ein kleinen Gang durch den Ort, um dann gut, tief und entspannt zu schlafen.
3te Etappe: Gut erholt und nah einem ausgiebigen Frühstück machen Brian und ich uns am 06.03.2019 auf den Weg nach Abla. Laut unserer Pilgerfiebel 27 Kilometer stetig berauf. Gleich die ersten drei Kilometer recht sachte und dann in zwei Kilometern Strecke 400 Höhenmeter rauf, dann steil 250 Meter wieder herunter, um dann stetig über die restliche Strecke 500 Höhenmeter gemächlich hinauf zu klettern.
Auf dem Weg nach Abla gibt es keine weitere Herberge. Auch mit den Bars ist das so eine Sache, erst in Nacimiento nach etwa 15 Kilometern, also auf der halben Strecke, gibt es eine, bis Abla dann wieder keine.
Selten habe ich so guten Kaffee und eine so köstliche Coca Cola getrunken, wie in Nacimiento.
In Anspielung auf Billy Joel begannen Brian und ich die Orte nach „One-Horse-town“ Kategorien zu klassifizieren. Nacimientoist demnach ein „One -Donky-without-Gasstation-Town“. Aber immerhin eine Bar!
Nach Nacimiento kamen wir dann in eine Landschaft, die uns erwarten ließ, jeden Moment von Italo-Western-Mexikanern in unguter Absicht auf stolzen Rössern eingekreist zu werden, um uns unsere Barschaften abzunehmen. Oder von Karl Mays Apachen um Klekih-Petra gefangengenommen zu werden, weil wir Bleichgesichter in die Jagdgründe eingedrungen waren.
So haben Brian und ich die Stunden bis nach Abla damit verbracht uns in der englischen und deustchen Western-Kultur fortzubilden und haben nicht selten alte Western-Soundtracks miteinander gesummt und gesungen, wobei mich die Textsicherheit von Brian bei vielen Liedern tief beeindruckte.
Die Donativo-Herberge in Abla ist eine dieser Herbergen, die liebevoll gemacht sind, aber es leider an so manchem fehlt. Eine Mikrowelle und eine Kaffeemaschine war die komplette technische Ausstattung der Küche, so dass selbst kochen nicht möglich war.
Die wundervolle duschen mit heißem Wasser musste man sich vorstellen, während man ein paar Tropfen lauwarmes Wasser abbekam.
Aber es gab eine Waschmaschine, die wir fünf Pilger gemeinsam für 3,00 € nutzten und auch der Trockner lief für 3,00 €, für uns alle.
Die Herberge befindet sich in der Calle San Antón 62, den Eingang finden man, wenn man die Calle San Antón entlang geht und um die Ermita de San Antón herum geht gleich rechts rein, da muss man eine Auffahrt hinauf.
Passabel zu Abend gegessen haben Sally, David, Brian und ich gemeinsam in der Cervecería Cafeteria la Esguina, ziemlich am Ortseingang in der Av. Santos Mártires 17.
Abla ist eine „one-gasstation-two-horse-an-a-donky-town“.
4te Etappe: Langsam aber sicher stellt sich das Gefühl ein, wieder Pilger zu sein. Vier Tage gehen, vier Tage aus dem Rucksack leben, jeden Abend Socken waschen und trotzdem nimmt man den Pilgergeruch an, lassen mich im Hier und Jetzt ankommen. Ich bin auf dem Weg!
Der Weg von Abla nach Hueneja soll laut Pilgerfiebel 26 Kilometer betragen. Der Weg steigt stetig von 800 Meter auf 1200 Meter über null an.
Unterwegs gibt es Herbergen in Camino Real, Finana und Venta Ratonera. Bars gibt es in Finana und Venta Ratonera.
Wir laufen durch ein ganz und gar andere Landschaft. Ein zart rosa Schleier überzieht die Gegend. Die Mandelblüte beginnt.
Der Weg führt mal wieder in längeren Schlägen durch ein ausgetrocknetes Flussbett, man geht an Ruinen von Bauernhäusern vorbei, die bei einem Menschen wie mir, mit der Liebe zum Alten, dessen Fantasie sofort anspringt, wenn er alte Autos, Boote oder Häuser sieht , sofort die Vorstellung aufkommen lässt: Hier mache ich eine Pilgerherberge auf. Und das büschen Mauern, Sanitär und Elektrik mache ich mit links und beim Dach helfen mir Marc, Björn, Arne und Daniel.
Brian hat dafür ein freundliches Lächeln übrig, kennt er mich doch gut genug, um zu wissen, dass es eine Momentträumerei ist.
David uns Sally sind vor uns gestartet, irgendwo im ersten Drittel laufen Brian unsere französische Mitpilgerin, deren Namen ich leider vergessen habe und ich von hinten auf die beiden auf.
Sally hat schwer zu kämpfen, obwohl der Weg völlig easy ist. Als ehemaliger Infanterist der Bundeswehr sehe ich natürlich, dass ihre ganze Körperhaltung und der Gang zum Wandern/Pilgern nicht geeignet ist. Sally ist mit David, der ein erfahrener Pilger und Wanderer ist mitgekommen. Das ist ihre erste Tour. Sie ist das erste Mal im Leben auf langer Strecke zu Fuß unterwegs.
Ich schlendere ein wenig neben ihr her, während Brian auf David aufschließt und sich mit ihm unterhält.
Sally und ich plaudern ein wenig. Sie leidet sehr und hat eigentlich keinen Bock mehr. Sie denkt darüber nach mit dem Bus von Etappenziel zu Etappenziel zu fahren und dort auf David zu warten, will ihm aber auch nicht den Weg vermiesen. Ich versuche ihr Tipps zu geben und so, weiß aber auch, dass man so eine Sache mit sich selbst klar bekommen muss. David hat ihr die ganzen Tipps auch schon gegeben.
Vor der Reise habe ich, weil ich das mal ausprobieren wollte, zwei Wandersticks gekauft. Teure Dinger zum Falten, damit man die in den Rucksack tun kann. Und meine Frau brauchte ohnehin neue, für ihre Wandertouren mit den Mädels in Südtirol.
Ich konnte mit den Dingern nicht so recht was anfangen. Also, so dachte ich, gebe ich die Sally. Die unterstützen die richtige Körperhaltung, richten sie auf und bringen den Oberkörper in Bewegung. Das könnte, so dachte ich, bei der Fehlhaltung, die ich von hinten beobachtet habe, helfen.
Sally und ich stellten die Dinger auf ihre Größe ein und machte mich nach ein paar Worten dann daran Brian einzuholen. Weil, alte Pilgerweisheit: Gehe Dein Tempo!
Unterwegs machten wir in den „one-donky-and-two-cow-towns“ unsere üblichen Kaffeepausen und kamen dann am Ende wohlbehalten in der Herberge Huenécha an, die sich in der Calle Barichillo befindet. Es handelt sich dabei um eine Wohnung in einem Mehrfamilienhaus neben einer Schule.
Die Küche hat einen Gasherd, eine Mikrowelle und alles was man so zum kochen braucht. Unsere französische Freundin, Sally, David und ich gehen nach einer heißen Dusche zusammen einkaufen, David uns Sally kochen.
Die Französin hat eine Flasche Johny Walker gekauft, die wir zu fünft nach dem Abendessen und ein paar Gläsern Wein bei anregenden Gesprächen leer machen. Im Laufe des Abends stellt sich heraus, dass David und ich eine ähnliche Erfahrung hinter uns haben. David ist bei den Wahlen als Kandidaten der Demokraten zu den Wahlen des Repräsentantenhauses bei sich Zuhause durchgeflogen, so wie ich bei der Aufstellung des Wahlkreiskandidaten meiner SPD in Kiel.
Es wird ein langer, hochpolitischer Abend, an dessen Ende David, Sally und Brian viel über das deutsche Wahlrecht und das deutsche demokratische System gelernt haben, und ich viel über das US- und das britische System gelernt habe. Politisch waren wir am Ende aber immer sehr nahe beieinander, der US-Demokrat, der englische Liberale und der deutsche Sozialdemokrat.
Hueneja ist eine „two-donky-and-a-horse-town“
5te Etappe: Der Weg von Hueneja nach Alquife ist nach Pilgerfiebel 21 Kilometer lang und mann muss nur etwas über 200 Meter hoch und etwa 100 Meter wieder runter. Eine recht entspannte Etappe kündigte sich an und nach einem ausgiebigen Frühstück zottelten wir fünf gemeinsam los. Trotz des recht massiven Alkoholkonsums am Abend, bis spät in die Nacht ging es mir blendend.
Was meine Erfahrung von den vorangegangen Caminos unterstützt, dass einem Alkohol nichts anhaben kann, wenn man viel in Bewegung ist und der Apparat das tut, wozu er gedacht ist. Wenn er geht.
Auf den 21 Kilometern gibt es Herbergen in Dolar, Ferreira, La Calahorra und dann in Alquife, Ebenso gibt es in jedem dieser Orte eine Bar.
Das Grüppchen zieht sich auseinander und Brian und ich laufen so irgendwann allein durch eine zart-rosa Welt von Mandelplantagen. Wobei die Landschaft trotzdem etwas karges hat. Wir denken viel an Ian, der eigentlich auch hätte mitkommen sollte, aber ein paar Tage vor Abflug aus Japan einen leichten Herzinfarkt hatte, so dass seine Ärzte ihm verboten nach Europa zu fliegen und durch die Sierra Nevada zu laufen.
Jeder hängt ein bisschen seinen Gedanken nach, viel reden wir auf dieser Etappe nicht.
Irgendwann taucht kurz vor La Calahorra eine Festung aus der Reconquista vor und auf, was uns dazu ermuntert eine Fachsimpelei über die spanische Geschichte zu beginnen und dass die Jakobswege ganz zufällig alle im Zusammenhang mit der Reconquista zu betrachten sind. Gelegentlich kramen wir das Telefon hervor, um unsere Angaben zu überprüfen, weil wirklich sattelfest sind wir in der spanischen Geschichte nicht.
Immer mal wieder blitzen schneebedeckte Gipfel vor uns auf, was uns daran erinnert, dass wir in die Sierra kommen.
Auf dem Weg hinein nach Alquife wird uns klar, dass wir uns in einer ehemaligen Bergarbeiter-Stadt befinden. Zerfallene Arbeitersiedlungen, Abraumhalden und monströse Gebäude stehen verlassen in der Gegend herum. Hier ist der industrielle Strukturwandel halt auch schon Geschichte.
In Alquife machen wir in der erst besten Bar halt, trinken ein Bier und essen eine Kleinigkeit. Als wir uns auf den Weg zur Herberge machen wollen, erklärt uns die sehr nette junge Frau an der Bar, wir sollten warten, sie habe Manuel schon angerufen, der komme gleich. Manuel ist ein Bauunternehmer aus Alquife und ein engagierter Hospitalero auf dem Weg von Alméria nach Granada, dem wir bis nach Granada immer mal wieder begegnen werden. Außerdem betreibt er die Pilgerherberge in Alquife.
Also warten wir noch einen Moment, ich rauche ein Zigarette während unsere Französin und Brian gemeinsam mit der jungen Frau in der Bar die Modalitäten für das Abendessen aushandeln.
Kaum habe ich aufgeraucht, kommt ein nahezu schrottreifer, aber großer Mercedes um die Ecke und eine kleine dicke Frau springt aus dem riesigen Auto. Sofort identifiziert sie mich als Pilger und plappert auf spanisch in einem Affenzahn auf mich ein. Soweit ich das verstehe ist sie die Schwester von Manuel, der gerade noch auf einer Baustelle ist uns fährt uns jetzt in die Herberge.
Die Herberge hat einen großen Aufenthaltsraum mit einer vollausgestatten Küche, einen mit Bier und Weißwein befüllten Kühlschrank, aus dem wir uns bedienen sollen, wie die Schwester von Manuel uns in rasender Geschwindigkeit erklärt, Manuel käme bald und dann ginge alles seinen Gang.
Auch David, der von uns allen am besten spanisch spricht, was nicht viel zu bedeuten hat, hat nur die Hälfte verstanden.
Wir duschen also alle, waschen unsere Socken und Shirts und genehmigen uns dann das Bier aus dem Kühlschrank auf der Terrasse. Richtig warm ist es auf über 1000 Meter nicht, aber die Sonne hat kraft. Ich bin froh um meine Merino-Wäsche und so sitzen wir fünf plaudernd, rauchend, David schnorrt mich das erste Mal um eine Kippe an, und Bier trinkend auf der schönen Terasse und warten auf Manuel.
Der kommt dann auch bald, erklärt uns alles, sitzt und plaudert mit in einer Mischung aus spanisch und englisch und wir lassen es uns gut gehen.
Am Abend gehen hinunter ins „one-car-one donky-one-bar-village“ und uns wird ein festliches Mal mit allem drum und dran, Vorspeise, Zwischengang, Hauptgang und Dessert, kredenzt, das weit über die üblichen Pilgermenüs hinaus geht, preislich aber in dem Rahmen ist.
Wieder in der Herberge ist es inzwischen empfindlich kalt, wir feuern den Holzofen im Gemeinschaftsraum ordentlich ein, schnappen uns die Heizlüfter und versuchen so die beiden Schlafzimmer warm zu bekommen. Wir sabbeln noch ein büschen über den Weg mit Manuel, der uns erklärt, dass man diesen Weg eigentlich nur zwischen März und Mai laufen kann, weil es sonst entweder zu heiß oder zu kalt in der Sierra Nevada ist. Spät stoßen noch ein Spanier und eine Spanierin dazu, bald kuscheln uns dann in unsere Schlafsäcke und schlafen schnell ein.
Die Albergue Lacho hat in vier Zimmern 12 Betten, ein großen Aufenthaltsraum mit Orgel gut ausgestatteter Küche und Schlafcouch. Die Herberge ist sehr, sehr liebevoll aber robust durch Manuel geführt. Das ist mit dieser Herberge so wie auf dem del Norte bei Padre Ernesto, man muss da hin, wenn man den Mozarabe von Alméria nach Granada geht!
Die Albergue ist in der Calle Fuente Santa 14 in Alquife. Telefonisch erreicht man Manuel unter +34 603 17 04 45.
Am Morgen weckt uns Manuel mit frisch gebrühtem Kaffee, Toast und einem Brandy für jeden. Klar: Ein Brandy zum Start, und der Tag wird appart.
Manuel versorgt uns noch mit reichlich Tipps für den Weg, ruft bei seinem Kumpel in Gudix in der Pension La Luz an und reserviert für uns alle Betten.
6te Etappe: Von Alquife nach Gaudix geht es auf den 22 Kilometern einmal kurz 100 100Meter bergab und dann steil wieder hinauf, um dann die 16 Kilometer stetig 350 Meter hinab zu gehen.
Auf dem Weg gibt es in Jerez del Marquesado und Cogallos de Gaudix Herbergen und in dem ersten Ort auch eine Bar.
Der kleine, aber steile Anstieg nach Jerez del Marquesado ist wunderschön. In dem Ort suchen Brian und ich uns eine Bar. Finden auch mehrere, die aber alle geschlossen sin, bis uns ein Einheimischer freundlich zu der geöffneten Bar geleitet, dort trinken wir gemeinsam mit dem älteren Herren einen Kaffee und er bestellt sich einen Brandy dazu. Wir hatten ja schon einen und lehnen dankend ab, als der Barmann mit drei Gläsern und der Flasche an den Tisch kommt.
Als wir uns wieder auf den Weg machen, holen wir David und Sally, sowie die beiden Spanier schnell ein. Gemeinsam laufen wir den Weg entlang, und ich merke ich bin voll im „Pilgermove“.
Mein Körper geht einfach. Ich weiß, jetzt könnte ich wochenlang so weiter machen, aber in vier Tagen sind wir schon in Granada.
Während ich neben Sally hertappere erzählt sie mir, dass sie über den Weg fliegt, seit dem sie meine Stöcke hat. Das Gehen bereitet ihr Freude und alle Schmerzen sind wie weggeblasen. Jetzt verstünde sie auch die Haltungstipps von David und mir endlich, aber das hätte sie ohne die Stöcke nicht verstanden, weil man das spüren müsse.
Der Spanier, José, erklärt: Das ist so auf den Jakobswegen, was der eine hat und nicht braucht, hilft dem anderen.
Wir verstehen uns.
Die Etappe ist bei wunderschönem blauem Himmel ein Sonntagsnachmittagsspaziergang an einem Samstag. Wir plaudern. Lachen viel und schießen ständig Gruppenfotos. Wir sind ehrlich ein büschen traurig, als José erklärt, bis Gaudix kämen sie noch mit, aber dann müssten sie wieder nach Alméria, Montag ins Büro.
Aber wir anderen sind alle ehrlich sehr froh, dass wir noch ein paar Tage haben.
Wir verdaddeln gemeinsam den Tag, besuchen jede Bar, die uns über den Weg läuft, na gut, es ist nur noch eine, und bestellen dort großzügig Getränke füreinander.
Auf dem Weg reden wir viel über Essen, und die Vorstellungen meiner englischen, spanischen und amerikanischen Begleiter von deutscher Küche sind ausschließlich bayrisch, was dazu führt, dass ich nach dem Bar-Besuch in Cogallos de Gaudixverkünde: Ich mache am Abend Königsberger Klopse!
In Gaudix kommen wir im Casa Rural Cuevas de la Luz, wie der Laden richtig heißt, an, die Adresse lautet: Placeta las Islas, 11, 18500 Guadix.
Am Empfang werde ich erst auf englisch, und dann als ich meinen Peronalausweis für die Regestrierung vorlege, auf deutsch beplaudert.
Er habe viel auf Mallorca gearbeitet und eine deutsche Frau geheiratet, lebe aber jetzt in Trennung. Deswegen helfe er seinem Freund hier.
Ich erkläre ihm, dass ich versprochen habe „Königsberger Klopse“ zum Abendessen zu machen, woraufhin er mit mir in die Küche geht und mir zeigt was da ist. Die Küche ist super ausgestattet. Herausreden mit der Begründung: In der Küche ginge das mit den Klopsen nicht, fällt aus.
Ich will duschen und lege mir „frische“ Klamotten raus, da fällt mir beim Ausziehen auf, dass ich das erste Mal in meinem Leben, nach zwei Caminos und unendlichen vielen Bundeswehr-Marschkilometern, alpinen Wandertouren mit meinem Onkel und so weiter fette Blasen habe. Aber so richtige!
Zudem ist die Haut meiner Füße bis über die Knöchel total rot und aufgedunsen. Als ich etwas erstaunt auf meine Füße schaue kommt Sally vorbei und guckt, ebenfalls, erschreckt auf meine Füße. Kurze Zeit später ist meine ganze Pilgertruppe und die Hälfte aller Gäste des Casa Rural um mich versammelt und fachsimpelt, was das wohl sein könne, mit meinen Füßen.
José, der alte Schlaumeier kommt als letztes dazu und stellt trocken fest: Wenn man seine Socken mit Rai in der Tube wasche und die nicht gründlich ausspüle, könne so eine Reaktion schon mal vorkommen, habe er schon öfter auf seinen Pilgertouren gesehen. Kortisonsalbe wird helfen und wer hat Kortisonsalbe dabei, Brian.
Also: Duschen, Klamotten an, Kortisonsalbe auf die Füße, Flipflops an und in den nächsten Supermarkt, in dem ich tatsächlich alle Zutaten für Königsberger Klopse zusammenbekomme.
Also koche ich Königsberger Klopse.
Währen dich dann Königsberger Kloppse koche, kommen Manuel und Verónica von der Asociación mit dem örtlichen Vorsitzenden vorbei, um mal nach dieser Truppe von Pilgern zu schauen. Es ist genug für alle und so essen zehn Menschen das erste Mal in ihrem Leben königsberger Klopse. In Gaudix. Sappalot!
Die Leute von der Asociación nehmen uns danach noch mit in die Stadt, machen eine historische Führung und gemeinsam bestaunen und feiern wir auf der Plaza den Karneval mit.
Wir sitzen noch lange zusammen, auch als die Plaza sich lehrt, reden über Pilgern, Glauben und was einen bewegt zu Pilgern. Eine wunderschöne Begegnung!
7te Etappe: Von Gaudix nach La Peza sind es anspruchsvolle 20 Kilometer. 300 Meter in den ersten 5 Kilometern hinauf, dann in zwei Kilometern 300 Meter hinab, dann 400 Meter hinauf, wobei man während dieser 13 Kilometer immer auch mal wieder 100 oder 200 Meter steil hinunter muss.
Von dieser Etappe gibt es leider keine Aufzeichnungen von mir und nur sehr wenige Fotos. Leider habe ich auch nicht vermerkt, in welchem Etablissement wir abgestiegen sind und wo wir gegessen haben. Offenbar waren Brian und ich mit was anderem beschäftigt, zwei Tage vor Granada, als uns Notizen zu machen.
Ich kann mich nicht mal an die Herberge erinnern oder wie wir zu Abend gegessen haben. Aber es gibt eine Herberge in La Peza.
8te Etappe: Auf der achten Etappe von La Peza nach Quentar zogen sich die 23 Kilometer ewig. Man muss auf der Etappe von 1000 Meter auf 1400 Meter hinauf, um dann die letzten 5 Kilometer 600 Meter immer recht steil bergab zu laufen, was bekanntlich ja anstrengender ist, als hinauf. Irgendwie waren Sally, die Französin und David auf der Etappe sieben verlustig gegangen, so dass Brian und ich auch die achte Etappe zu zweit liefen.
Auch auf dieser Etappe machte ich nicht viele Fotos, und nach meiner Erinnerung redeten wir nicht viel. Brian hatte Problem mit seiner Achilles-Sehne, der „the Camino End ist near“-Blues verstärkte sich und irgendwie liefen wir hintereinander her, statt miteinander.
Die Landschaft war atemberaubend, zwischendurch kamen wir an einem Pfadfinderlager vorbei und auch ein Schäfer mit Herde und Hunden zog an uns vorbei. Eigentlich zum Genießen.
Aber die meisten Pilger kennen das: Die letzten Tage sind emotional immer ein bisschen seltsam. Man ist irgendwie bei sich.
Brian hatte ein sehr hübsches, aber auch beseeltes Hotel gebucht, das Fundalucia Guesthouse. Auch hier wieder ist der Chef ein deutscher. Wo sich meine Landsleute auf der Flucht vor der deutschen Leistungsgesellschaft nicht überall rumtreiben. Brian und ich sind in einem Hotel am Platz was essen gegangen, und dann ins Bett.
9te Etappe: Es sind noch 1240 Kilometer bis Santiago de Compostela, für Brian und mich aber nur noch 20 Kilometer bis Granada. Es geht zunächst etwa 200 Meter hinauf, wärend der ersten 5 Kilometer, dann 100 Meter hinab, dann noch mal 100 Meter hinauf, bevor dann die letzten 5 Kilometer der 300 Meter „Abstieg“ nach Granada beginnt.
Eine Bar gibt es in Dudar, aber da ist man noch recht frisch.
Die letzte Etappe schlendern Brian und ich eher über den Weg, unser Trübsal ist einem herzlichen Miteinander gewichen, ist es doch der vorvorletzte Tag miteinander, mindestens für ein Jahr.
Wir sind so langsam, dass irgendwann auf der Hälfte der Strecke Sally und David von hinten auf uns aufkommen. Die beiden passen sich gerne unserem Tempo an und so zotteln wir zu viert erzählend, Witze machend und von ständigen Orangen- und Wasserpausen unterbrochen sehr gemütlich gen Granada.
Sally ist mir noch immer dankbar für die Stöcke und will Brian und mich zum Abendessen einladen, was wir dankend annehmen. Unser Hotel und das Hotel der beiden ist nicht weit voneinander entfernt, wie wir bei einer der Pausen beim Blick auf der Karte feststellen. Also verabreden wir uns für den Abend auf der Plaza um die Ecke.
Die letzte Etappe so einer Pilgerei oder Einer Wanderung hat für mich immer was zwiegespaltenes. Ich mag nicht, dass es zu Ende ist, aber ich mag langgezogene Abschiede auch nicht.
Als Granada in Sicht kommt und die ersten Ausläufer der Stadt erreicht sind ziehen wir vier mächtig das Tempo an, was uns alle dann doch noch zum schwitzen bringt.
Am Stadtrand kehren wir in eine Bar ein, trinken alle ein herrliches, gezapftes, eiskaltes Bier und können uns kaum von der Bar lösen.
David und Sally wollen noch weiter nach Santiago.
Brian und ich beneiden die beiden ziemlich und wir lachen gemeinsam ausgiebig darüber, dass Sally eigentlich schon am dritten Tag die Schnauze voll hatte, nun voller Vorfreude auf die 1220 Kilometer ist, die sie noch vor sich hat.
Und als ich unter dem strafenden Blick von Sally, die es ablehnt im hellen Alkohol zu trinken, noch drei Bier für uns Jungs hole ist, während ich an der Bar stehe, in meinem Rücken ein großes Hallo. Unsere verloren gegangene französische Mitpilgerin hat meine drei Pilgerfreunde entdeckt, als sie an der Bar vorbei ging.
So haben wir einen Grund noch länger in der Bar zu verweilen und ich ordere noch ein weiteres Bier, das sehr dankbar angenommen wird und die Französin trinkt das kalte Nass fast in einem Zuge aus, was wieder zu albernen Kommentaren und Frötzeleien führt.
So sitzen wir noch eine Weile und als wir dann beschließen aufzubrechen, will Sally mir meine Wanderstöcke wiedergeben. Bis zum Hotel schaffe sie es auch ohne und wenn ich heute Abend meine Sachen packe, um am nächsten Tag nach Malaga aufzubrechen.
Ich biete ihr an die Stöcke doch mit nach Santiago zu nehmen und sie mir dann von da aus zuzuschicken, dass käme sie günstiger als hier welche zu kaufen, und so würde zumindest etwas von mir dieses Jahr in Santiago einlaufen.
Sally und David sind ganz gerührt und versprechen mir, dass sie das auf jeden Fall machen werden.
Unter langen Umarmungen, als sei es der endgültige Abschied, und den Beteuerungen man freue sich auf das gemeinsame Abendessen schaffen wir es dann doch irgendwann aufzubrechen und in unseren Hotels einzukehren.
An der Rezeption des Hotel Verónica schlägt die Erkenntnis bei Brian und mir, wir schauen uns an und man kann es im Gesicht ablesen, gleichzeitig zu, dass es nun vorbei ist mit der Pilgerei. Zumindest für dieses Jahr.
Die meisten Pilger kennen diesen Moment, wenn einem irgendwie die Tränen in die Augen schießen wollen.
Brian und mir gelingt es den Klos im Hals runterzuschlucken und wir beschließen Siesta zu machen und dann mal zu schauen, was die Französin, Sally und David für das „Cenar“ rausgesucht haben.
Im Hotelzimmer packe ich meinen Rucksack aus und dusche erst einmal ausgiebig. Als ich frisch geduscht und mit einem frischen Handtuch abgetrocknet aus dem Bad komme und, stelle ich mal wieder fest, wie all meine Sachen müffeln. Die Handwäsche mit Rai, so weiß es ja schon Hape Kerkeling in seinem Pilgerbuch zu berichten, schafft es einfach nicht Wäsche so rein zu machen, dass man damit in der Zivilisation rumlaufen kann, ohne Aufmerksamkeit zu erregen.
Aber die Spanier an den Jakobswegen sind es ja gewohnt, dass leicht verwilderte Zausel müffelnd durch ihre Straßen ziehen und ihre Bars bevölkern.
Als ich mich hinlege bin ich natürlich hellwach. Nach einer Weile entschließe ich mich aufzustehen und mir die Kathedrale und so anzuschauen.
Der Camino Mozarabe im Abschnitt von Alméria nach Granda ist wunderschön und ursprünglich. Abwechslungsreich und anspruchsvoll.
Festes Schuhwerk ist ebenso zu empfehlen wie immer ausreichend Wasser mitzuführen, weil es längst nicht so viele Bars am Weg gibt, wie bei den bekannten und viel gegangenen Wegen in Spanien.
Am Abend gab es dann ein Abschiedsessen, Brian und ich machten uns am nächsten Morgen mit der ALSA auf den Weg nach Malaga wo Brian am Abend abflog.
Die Pilgertour 2019 war zu Ende. Aber immer hin bin ich mit dem Rackham der Brussels gen Norden geflogen.
Und natürlich hat Sally mir die Pilgerstöcke aus Santiago zugeschickt.