Der Camino Portugues ist einer der Jakobswege, der auch ohne große Vorbereitung und außerordentlicher körperlicher Fitness für fast jeden innerhalb von zwei Wochen das Pilgern erlebbar machen kann. 

Landschaftlich oft reizvoll, mit guter Infrastruktur zum Übernachten, Einkaufen und Essen. Äußerst guter Ausschilderung, die einen Guide fast überflüssig macht. Mit besonders freundlichen und zugewandten Menschen in Portugal und der guten Lebensart des Nordens der iberischen Halbinsel. Einem ungetrübten „Camino-Erlebnis“ steht also nichts im Weg. 



Schöne Begegnungen mit anderen Pilgern aus Spanien, Portugal, der Schweiz, aus Holland, den USA, Mexiko, England, Frankreich, Kanada und Deutschland, sowie aller anderen Herren Länder macht für mich auch den Reiz des Pilgern aus.



Ich war dieses Jahr im Oktober auf dem Camino Portugues und ich habe diese Begegnungen auch wieder sehr genossen.



Die Besonderheit von Pilgerfreundschaften ist kaum zu erklären. Man trifft sich, spricht offen und frei miteinander, trennt sich wieder und behält sich in guter Erinnerung. Irgendwie oberflächlich, aber trotzdem ist da „mehr“.



Und dann trifft man sich immer wieder mal, und mit einigen zieht man dann ein paar Tage durch Spanien und die Anderen trifft man dann freudig in Santiago de Compostela wieder und feiert die Ankunft mit Vino Tinto und Alvarinho. Diskutiert bis tief in die nacht, treibt sich in Santiago rum und entdeckt diese Stadt auch ein wenig für sich, abseits der Touristenströme, die den Tag über durch die Stadt schwappen.



Das Gehen, mit allem was man braucht und hat auf dem Rücken, die Anstrengung über dann Tag lässt einen auch ein wenig Raum und Zeit vergessen. Die Freiheit zu bleiben, oder weiter zu gehen macht was mit einem. Der Camino sorgt dafür, dass Du Dich, zumindest die ersten Wochen, auf die Grundbedürfnisse reduzierst. Man stoffwechselt vor sich hin.

Große Gedanken, Reflexion dessen was man so tut und Erkenntnisse über das eigene Leben, oder das anderer, ist in den ersten Wochen einer Pilgerreise in der Regel nicht zu erwarten. Wer das will oder sucht, sollte sich schon auf einen der langen Wege machen, denn die Einstellung auf das Gehen, Essen, Schlafen und dann wieder von vorn dauert für Körper und Geist nach meiner Erfahrung in etwa die Wegstrecke, die der Camino Portugues lang ist.



Aber auch die langen Wege bieten keine „Erleuchtungsgarantie“.



Dennoch hat auch so ein „kurzer“ Weg wie der Camino Portugues den „Camino-Zauber“. Auch aufgrund der Begegnungen mit den anderen Pilgern.



Ein wunderschöner Abend, der wohl einer der schönsten auf meinen bisher beiden Jakobswegen war, hatte ich in einer Herberge, die eine Weinbäuerin in Portugal betreibt.



Am Abend wurden draußen um einen langen Tisch Stühle gestellt, die Hospitalera tischte Pasta auf und schenkte selbstgemachten Wein aus. Leckeres Zeug, dem alle zusprachen. Leicht gekühlter Rosé und Weißwein. Im Gespräch kam dann heraus, dass sie auch Rotwein und Olivenöl selbst produzieren, das Olivenöl gab es beim Essen und sie stellte dann auch noch Rotwein dazu. Ziemlich kräftiges und raues Zeug. 



Wir alle waren mit unserem Rucksack, was man ja als Pilgerinteressierter eigentlich als selbstverständlich annimmt, den Weg zu dieser Herberge gegangen und hatten bei etwas über 30 Grad am Tag unter der Hitze gelitten. Wir Deutsche, Franzosen, Schweizer, Holländer und US-Amerikaner sprachen „Camionese“, ein Mischmasch aus englisch, spanisch, deutsch und französisch. Wir sprachen über die ungewöhnliche Hitze zu der Jahreszeit, über die Feuergefahr und dann mussten die beiden Amis aus Kalifornien weite Teile des Abends die europäische Abscheu und das Unverständnis über Trump ertragen. Die beiden schlugen sich tapfer und erklärten immer und immer wieder ihren Standpunkt. Sie sagten es nicht, aber ich glaube, dass die beiden eingetragene Demokraten sind. So wie sie redeten und so politisch auf der Höhe ist man meist im Zusammenhang mit einer Parteimitgliedschaft.



Wir lernten, was für ein tiefer Riss durch die USA geht. Tom erklärte, dass er nur noch schwer mit einem seiner Nachbarn reden könne, dass Freunde sich nicht mehr gegenseitig einladen würden und er hoffe, dass dieser Alptraum bald ein Ende habe.



Dennoch kamen wir anderen Pilger immer und immer wieder auf das Thema. Wann hat man schon mal die Möglichkeit sich mit US-Bürgern über die Fragen die einen Interessieren im Bezug auf die politischen Zustände in den USA zu unterhalten?



Sehr spät, satt, fröhlich und angetrunken beendeten wir alle den Abend auf diesem wunderschönen Anwesen und gingen zufrieden zu Bett.



Im Prinzip ein Pilgerabend, der alle Klischees erfüllte und echt filmreif war.



Diese Truppe traf sich immer wieder mal und aufgrund dieses wirklich außergewöhnlich schönen Abends freuten wir uns alle immer wieder, uns zu sehen.

Besonders schön war dieser Abend wohl auch, weil alle die da waren wirklich auf ihren eigenen Füßen, mit ihrem Hab und Gut dorthin gewandert sind.



Auch wenn sich die meisten Pilger untereinander immer wieder gegenseitig erklären, dass es kein „richtiges“ oder „falsches“ Pilgern gibt, ist es dennoch spürbar, dass es unterschiedliche „Kategorien“ von Pilgern gibt.



Die wenigsten würden sagen: Du bist kein Pilger, wenn man mal in einem Hotel übernachtet, oder aufgrund von schmerzenden Füßen oder Blasen mal ein paar Kilometer mit dem Bus voran macht.



Wo es anfängt, für die meisten selbstorganisierten Pilger lästig zu werden, ist es wenn man an einer Herberge ankommt und das ganze Foyer mit Hartschalen-Koffern mit „Laufzettel“ vollgestellt ist. Ungehalten werden Pilger dann, wenn sich erweist, dass die Herberge „Completo“ ist, obwohl die „Hartschalen-Koffer-Pilger“ noch nicht mal da sind.



Wenn man dann auf seinem Smartphone in der Umgebung nach einer Unterkunft sucht und ein Hotel findet, dass einigermaßen bezahlbar ist und dort hinwandert und das gleiche Bild vorfindet mit den riesigen Koffern im Foyer, staunt man dann schon ein wenig. In der Regel finden die freundlichen Menschen im Hotel dann aber noch ein Plätzchen für einen.



Gut, man duscht, wäschst seine Socken und Unterhose und geht dann wieder ins Hotel, weil es da was zu Essen gibt. Setzt sich auf die Terrasse und beobachtet andere Pilger, die zu Fuß ankommen, denen das gleiche widerfährt. Wenig später kommen diese Pilger dann auch auf die Hotelterasse, man unterhält sich und taucht sich aus. Wie Pilger das so untereinander tun.



Ein Thema sind dann schnell die unterschiedlichen Pilgerformen.

Dann vollzieht sich gelegentlich ein Schauspiel, welches mich beim ersten mal ein wenig fassungslos machte. Konvois von Taxen fahren vor, schwatzende, gut gelaunte Menschen in schicker, moderner „Wanderfunktionssupervollaustattung“ steigen ohne große Anzeichen von Anstrengung aus und checken ein. Wenig später sitzen sie in frisch gewaschenen und gebügelten Freizeitklamotten gepflegt und sauber an den Tischen und erzählen sich von ihrem „Abenteuer“. Spielen sich gegenseitig Youtube-Videos vor und schwatzen fröhlich.



Ein wenig kommt Cluburlaub-Feeling auf.

Ok. Jeder geht „seinen Weg“. So wie er mag und kann.

Einige nutzen lieber Hotels und Pensionen, weil sie in großen Schalfhallen nicht schlafen können.



Kann ich alles einsehen. Finde ich persönlich auch völlig ok.

Pilgern muss in meinen Augen nicht unbedingt Askese und Selbstgeißelung sein. Dennoch gehen die meisten Menschen ja einen der Jakobswege, um bestimmte Erfahrungen zu machen. Um eine spezielle Atmosphäre zu erleben, die nicht alltäglich ist.



Man macht ja absichtlich keinen Cluburlaub. 



Dieses besonderen „Camino-Erlebnisses“ beraubt man sich als „Taxigrino“ oder „Hartschalen-Koffer-Pilger„ selbst. Und man verändert auch die Stimmung auf solch einem Weg, weil man dem „normalen“ Pilger nicht selten das Gefühl gibt Kulisse für so einen Urlaub, für ein „Camino-Erlebnis“, zu sein.



Ich habe auf dem Camino Portugues eine quirlige Dame kennengelernt, die mit über 70 Jahren den Weg mit Rucksack auf ihren eigenen Füßen durch die spätsommerliche Hitze von gelegentlich über 30 Grad absolvieren wollte und das auch bis eine Etappe vor Santiago geschafft hat. Leider musste sie die letzten Kilometer den Bus nehmen, weil sie sich den Fuß verstaucht hatte. Sie ist alleine los und hat viele Pilgerfreunde gefunden, unter anderem meine Frau und mich. Sie hatte mit Sicherheit einige dieser „Camino-Erlebnisse“.



Auf dem Camino del Norte habe ich einen kanadischen Pilger kennen gelernt, der diesen anspruchsvollen Weg über fast 900 Kilometer durch Regen, Sturm und manchmal auch brennende Sonne mit dem Rucksack allein gegangen ist. Auch er hat Pilgerfreunde gefunden und war nie einsam. Bis heute haben wir Kontakt. Auch er hatte sicher mehr als eine dieser „Pilgererfahrungen“, die das Pilgern ausmacht.



Die „Taxigrinos“, oder auch die, die den Weg über durch einen vollklimatisierten Reisebus begleiten lassen, bleiben eher unter sich.

Auch die meisten „Perigrinos“ haben wenig Anlass und Grund sich mit den „Tourigrinos“ zu befassen. Was soll man auch miteinander reden?



Ich habe diese durchorganisierten Reisegruppen, die „Taxigrinos, „Tourigrinos“ und „Hartschalen-Koffer-Pilger“ als störend empfunden. Und die meisten anderen Pilger, mit denen ich darüber sprach auch. Weil sie mit ihrer Form des „Pilgerns“ die Stimmung auf dem Weg verändern und deswegen auch Thema unter den anderen Pilgern sind.



Aber das ist nicht der Hauptpunkt. Der Hauptpunkt ist, dass mir diese Leute ein wenig leid tun. Ich gehe davon aus, dass sie ja eigentlich auch ein „Pilgererlebnis“ suchen. Dieses bleibt ihnen so allerdings, davon bin ich überzeugt, verwehrt.



Wenn ihr also Pilgern wollt, dann macht das selbst! Dann geht. Tragt das was ihr braucht bei Euch. 

Macht keinen Pauchalurlaub aus Eurer Pilgerreise. Ihr verpasstet so viel!



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